Von Judith Rentschler
So ernst gemeint diese Aussage ist, ruft sie doch ein Schmunzeln unter den Mitarbeitern hervor, weil ich das wohl schon an Tag 23, Tag 37, Tag 45 – eigentlich mindestens einmal wöchentlich – sage. Und doch kommt es jedes Mal aus ganzem Herzen. Auch heute am Tag 95(!) kommt es mir wieder über die Lippen.
Eine Volontärin meinte neulich: »Ich muss mir immer wieder bewusst machen, dass das nicht der Normalzustand ist. Ich kenne Israel eben nur im Krieg und denke – so ist das hier halt.«
»Dann habt ihr hier also quasi ein normales Leben« – meinte die Reporterin der ARD, die für einen Kurzbericht ins Beth Elieser gekommen war. (Unter Beschuss: Angespannte Lage an der Grenze zwische Israel und Libanon | tagesschau.de)
NEIN!!! Unser »Normal« (oder wie wir unser Leben gerne bezeichnen würden) wäre:
- Dass unsere Volontäre zum Jahreswechsel Besuch von Angehörigen und Freunden aus Deutschland bekommen hätten.
- Dass wir am Sonntag unseren Gästebetrieb in Shavei Zion aufgenommen hätten und unsere Zimmer mit Holocaustüberlebenden bewohnt wären.
- Dass die neu sanierte Großküche in Maalot in Betrieb wäre.
- Dass sich zwei (statt 16!) Heimbewohner eine Nasszelle teilen würden.
- Dass wir Wanderausflüge in den jetzt wieder grün werdenden Norden Israels planen würden.
- Dass wir am Shabatmorgen nicht durch Raketenalarm geweckt würden.
- Dass nicht täglich junge Menschen aus dem Leben gerissen und ihre Beerdigungen in den Abendnachrichten übertragen würden.
- Dass Sänger, Schauspieler, Studenten, Ärzte, Köche, Weinverkäufer, Handwerker, Physiotherapeuten usw. für den Lebensunterhalt ihrer Familien, für die Wohnungsmiete und Kredittilgung aufkommen und ihre Kinder abends ins Bett bringen würden, statt monatelang in Zelten auf Isomatten zu kampieren, sich von Marschverpflegung zu ernähren und nicht zu wissen, ob sie den Abend erleben, ob sie den besten Freund verlieren, oder »nur« ein Bein …
- Dass nicht Tausende psychologische Hilfe in Anspruch nehmen und wegen Panikzuständen behandelt werden würden.
Die Liste ließe sich noch weiter fortführen.
Nein, normal ist unser Leben nicht, aber wir machen weiter (auch wenn es eigentlich »genug wäre«).
Unser Auftrag ist, Israel zu trösten. Trost – die tiefe Bedeutung dieses Wortes wurde uns seit Urijas Tod und der überwältigenden Anteilnahme hier im Land nochmal ganz neu bewusst. Israel zeigt uns, was Trost heißt.
- Trost, das ist eine Umarmung, ein Ich-versteh-es-auch-nicht, Investition von Zeit, Kraft und Geld.
- Trost ist Zuhören, ehrliches Interesse am Anderen, die »zweite Meile«.
- Trost ist geben – ohne zu erwarten.
- Trost ist anstrengend und kräftezehrend.
- Trost lenkt den Blick weg von mir, hin zum anderen.
Nicht nur einmal erlebten wir, dass Menschen kamen, um zu trösten und getröstet zu werden. Unweigerlich erinnert das an 2. Korinther 1,3+4: »Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus, der Vater der Erbarmungen und Gott allen Trostes, der uns tröstet in all unserer Bedrängnis, damit wir die trösten können, die in allerlei Bedrängnis sind, durch den Trost, mit dem wir selbst von Gott getröstet werden.«
Wir können nur trösten, wenn wir selbst getröstet wurden. Geistlich und körperlich. Das müssen wir uns immer wieder bewusst machen – besonders jetzt, wo wir müde werden, die eigene Kraft nachlässt und es »wirklich genug wäre«.
Dazu ist es wichtig, immer wieder mal abzuschalten und aufzutanken. Geistlich und körperlich. Abschalten und rauskommen – wenn möglich, versuchen wir das auch durch Ausflüge in sichere Landesteile. Eine Nachbarin unterstützte uns dabei gestern ganz praktisch. Sie hatte eine Stadtführung in Haifa organisiert, inklusive Verkostung lokaler Spezialitäten. Sie investierte Zeit und Geld, um ihre Wertschätzung für unsere Arbeit und unser Hierseins zum Ausdruck zu bringen. Sie bedankte sich bei den Volontären für deren Freundlichkeit und ihre Unterstützung Israels. Auch in Haifa wurden wir durch Plakate zur Freilassung der Entführten und Street Art, die die Geschehnisse seit dem 7. Oktober thematisieren, an die momentane Situation erinnert – aber doch war es ein unbeschwerter Tag in schöner Gemeinschaft, leckerem Essen und frühlingshaften Temperaturen. Eine Geste, die ermutigt, auszuhalten und weiter zu machen.
Danke, wenn auch ihr aushaltet und weiter macht im Gebet für uns und ganz Israel. Bitte betet für:
- Weisheit für Entscheidungen der Verantwortungsträger in Militär und Politik
- Freilassung der Entführten
- Bewahrung an allen Fronten
- Familien, die finanziell am Ende sind
- Reservisten, die aus dem Kampf zurückkehren und wieder im beruflichen und familiären Alltag »ankommen« müssen
- alle, die körperlich und seelisch verwundet sind
- Oasen zum geistlichen und körperlichen Auftanken
- Dass wir vor Ort trösten können – mit dem Trost, mit dem wir getröstet worden sind.
- Neue Bewerbungen, damit wir unsere Arbeit weiterführen können.