Simchat Tora: Als hätte der Ewige Rosen gepflückt

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Am 25. Oktober 2024 war der jüdische Feiertag »Simchat Tora«, begonnen hatte er bereits am Abend des 24. Oktober. Dieser Feiertag, an dem sich das jüdische Volk traditionell am Wort Gottes erfreut, war letztes Jahr am 7. Oktober – an dem Tag, an dem Israel den schrecklichen Angriff aus dem Gazastreifen erlebte.

Kann man an diesem Tag wieder zurückfinden zur Freude an der Tora? Zumal, wenn man einen jungen Menschen viel zu früh verloren hat? Vor wenigen Wochen haben Familie Bayer und unsere Mitarbeiter in Maalot ein bewegendes und mutmachendes Ereignis erlebt, unsere ehemalige Physiotherapeutin Dorit berichtet:

Es gibt eine Torarolle mit den Namen aller Gefallener und Ermordeter in diesem Krieg. Sie stehen auf der silbernen Hülle, neben jedem Namen ein rot funkelnder Stein. Es sind so viele Namen, dass auf der Innenseite der Hülle weitergeschrieben wird. Die Rolle wandert von Familie zu Familie. Zu den Angehörigen der Helden dieses Krieges.

Und am Sonntag, dem 29. September war diese Rolle in unserem christlichen Haus. Niemals hätte ich geglaubt, dass so etwas passieren würde. Und doch ist es so gekommen.

Die Atmosphäre des Abends war beeindruckend: Die vielen Menschen, die kamen, von unseren Mitarbeitern bis zum Bürgermeister. Die verschiedensten Menschen aus den verschiedensten Bereichen und doch verbunden durch die Last des Verlustes und zugleich auch durch den Trost und die Ermutigung der Gemeinschaft.

Es ist interessant und bewegend gleichermaßen, wie die Menschen hier in Israel trauern. Es geht nicht nur um deine persönliche Beziehung zu dem Verstorbenen – manche kennen ihn vielleicht gar nicht – sondern darum, dass er gestorben ist. Für dieses Land, dieses Volk, dieses Ziel. Das geht alle etwas an. Und alle nehmen dieses Leid auf sich. Nicht nur in ihren Worten, sie fühlen den Schmerz und tragen die Last gemeinsam.

Interessant, dass wir im Neuen Testament genau diesen Auftrag bekommen. »Einer trage des anderen Last, so werdet ihr das Gesetz des Christus erfüllen.« (Galater 6,2). Davon haben sie auf jeden Fall viel verstanden. Besonders gefreut hat mich, dass man an diesem Abend merken durfte, welche Ermutigung dieses Ereignis vor allem für Nelli und Gideon war. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, wie viel Kraft es immer wieder kosten mag, zu erinnern, ist es gleichzeitig auch ermutigend, welche Kreise Urijas Tod zieht, sodass Abende wie diese geschehen und man merken darf, dass eine mutige Nation hinter der ganzen Familie steht.

Beeindruckt hat mich außerdem die Rede des jungen Mannes, der mit verantwortlich für die Idee mit der Torarolle war. Er erklärte, wie das Projekt entstanden ist und was der Sinn davon sei: Ein Gedenken an die Toten. Aber es sind nicht nur Tote, sondern Menschen, die für etwas, das größer und bedeutender ist als sie, gestorben sind.

»Es ist, als hätte der Ewige Rosen gepflückt und die Tapfersten und Schönsten auserwählt, um dieses Opfer zu bringen.« – So will ich Urija im Gedächtnis behalten. Als eine wunderschöne Rose, die Gott in Liebe zu sich genommen hat. Und derselbe Gott wird auch seine Hand über allem Geschehen halten und es zu seinem Ziel und Zweck gebrauchen. Wir werden sie nicht vergessen. Es wird alles getan – und dieser Abend ist nur ein Beispiel dafür – dass wir uns immer erinnern werden, welche Helden sie waren, wofür sie gelebt haben und wofür sie gestorben sind.

Freunde der Familie schrieben über den denkwürdigen Abend:

»Hört nicht auf zu lächeln! – eine Gedenkecke und in ihr das strahlende Lächeln von Urija Bayer, seligen Gedenkens, Bilder von den verschiedenen Stationen in seinem Leben, allein und mit Familienmitgliedern, Gedenkkerzen und ein Gedenkbuch von seinen Kameraden, in dem sie ihre guten Worte über ihn aufgeschrieben haben. Das alles fand ich vor, als ich mit einer warmen Umarmung von Nelli empfangen wurde.

Neun Monate nach dem Tag, als Urija gefallen ist, habe ich deine so sehr schmerzenden Worte gehört, die das Herz treffen: Im Verlauf der Zeit wird der Schmerz nicht weniger, sondern größer, die Sehnsucht wächst …

An diesem Abend hatte ich das Vorrecht, teilzunehmen am Schreiben eines Buchstabens in der Torarolle und dadurch die Erinnerung des Urija zu erleuchten. Der Abend begann mit einer Erklärung von den Gründern der Idee ›Buchstaben des Lebens‹: Das Schreiben einer Thorarolle, in der man das Gedenken an die Lieben, die nicht mehr sind, verewigt: Zivilisten, Soldaten verschiedenster Religionen, religöse, säkulare, jung und alt. Das Buch vereint alle, die Opfer des Überfalls und des Krieges wurden – seit dem 7. Oktober 2023, seit Simchat Tora.

Zuerst schrieben Gideon und Nelli, danach die Geschwister, Großeltern und noch andere Familienmitglieder. Danach schrieb der Stadtrabbiner, der Bürgermeister und das ganze Publikum. Ich spürte die heilige Atmosphäre dieses Ereignisses, die Dazugehörigkeit und die Bewegtheit, ich spürte Trauer und Schmerz, einen Hohlraum durch den Verlust und gleichzeitig ein Gefühl der Einheit, Stärke, Glaube und Hoffnung.

Ich stärke die Hände derer, die dieses besondere Projekt führen, die ganzen betroffenen Familien und euch die ganze Familie Bayer. In Liebe und einer riesigen Umarmung, Aviva.«

»Zu Beginn des Krieges, als Zuriel, Urija, Odelia und Rachel alle eingezogen waren, kamst du zu mir, um eine Umarmung und Ermutigung zu bekommen von einer israelischen Mutter (da doch auch mein Sohn im Gaza kämpfte). Und heute …

Heute kannst du mich lehren, was es bedeutet, eine israelische Mutter zu sein, die so sehr Israel liebt, den Gott Israels liebt und das kostbarste von allem gegeben hat, für die Sicherheit von uns allen. Nun kannst du stolz sein und empfinden, was es bedeutet, eine jüdische Mutter zu sein, deren Sohn in unserer Tora verewigt ist.

Danke dir und Gideon für das Vorrecht, teilzuhaben am Schreiben dieses besonderen Buches. Ohne euch würden Arie (mein Mann) und ich nicht dieses bewegende Ereignis erleben, dieses besondere und einmalige. Dieses Teilnehmen am Schreiben von Buchstaben im Torabuch, das so universell ist im Glauben, in der Moral und in der Gerechtigkeit, das an alle Völker vererbt ist, unabhängig von ihrem Glauben.

Deshalb ist es richtig und sehr würdig, dass diese Buchstaben geschrieben werden zur Erhebung ihrer Seelen von all den Opfer und Soldaten, die gefallen sind, nur weil sie das Leben liebten und das Land Israel. Und so schrieb es Chaim Guri (ein Dichter und Schriftsteller von der Generation des Unabhängigkeitskrieges): ›Du sollst wissen, dass die Zeit und die Feinde, der Wind und das Wasser dich nicht auslöschen. Du wirst weiter bestehen, von Buchstaben gemacht. Das ist nicht nur mit einem Stift geschrieben. Irgendetwas wird von dir bleiben.‹

Nelli und Gideon, ich hoffe, dass jedes Mal spürt, wenn ihr ein Torabuch öffnet, wie Urija zwischen den Blättern hervorlächelt. Ihr seid für immer in unseren Herzen!«

Zum 7. Oktober haben wir auf der Zeitzeugen-Plattform »Papierblatt« ein Interview mit Nelli und Gideon veröffentlicht, das wir am 2. Mai, nach dem Freundestreffen in Maisenbach, aufgenommen hatten. Es wurde bisher über 50.000 Mal aufgerufen und ist vielen zum Zeugnis und zur Ermutigung geworden.