Sehnsucht nach Frieden

eingetragen in: Israel, Meldungen, Mitarbeiterberichte

von Judith Rentschler

25. September 2024: Seit fünf Tagen erleben wir die Eskalation durch verstärkten Raketenbeschuss weit über unsere Häuser hinaus. Erstmals wurden Raketen der Hisbollah auch auf die Gegend südlich von Haifa und Tel Aviv geschossen. Auch die Häufigkeit der Alarme nimmt zu – 21 Raketen auf unsere Nachbarstadt Akko während ich schreibe!

Ebenso Berichte von Volltreffern und Verletzten – Gott sei Dank in bislang relativ geringem Ausmaß. ER schützt auch durch Iron Dome und das Vorwarnsystem.

Da Schule und Kindergarten in Nordisrael seit Sonntag im Onlinemodus laufen, wird mein Schutzraumbüro auch als Zoom-Klassenzimmer benutzt. Bei Alarm in Shavei Zion (und unmittelbarer Umgebung) kommen auch die anderen Hausbewohner für den geforderten Zeitraum dazu.

Auch in dieser anormalen Situation entwickelt sich mittlerweile Routine und alle sind froh, in dieser angespannten Zeit nicht allein zu sein. Wer sich besser entspannen kann, schläft einfach direkt schon im sicheren Zimmer.

Auch einige unserer Mitarbeiter in Maalot entschieden sich in den letzten Tagen für ihre Betten im Gemeinschaftsbunker. Verpflichtend ist das noch nicht, aber auf jeden Fall erholsamer als Nächte wie die, die eine Langzeitmitarbeiterin heute beschreibt:

»Morgens 4:45 Uhr: Mein Wecker hat schon vor 15 Minuten geklingelt, aber wie immer genieße ich noch ein paar Minuten im Bett. Es rüttelt fürchterlich an der Türe. Ich denke: Wer will denn da rein? Und wenn jemand rein will, warum macht er dann nicht einfach die Türe auf. Mit der Zeit wache ich richtig auf und denke, ob das wohl ein Erdbeben ist? Aber das habe ich hier schon erlebt, und das fühlt sich anders an.

Dann registriere ich plötzlich ein unheimliches unterschwelliges Grollen, wie wenn unter uns ein Bagger arbeiten würde, höre Flugzeuge in der Luft. Es fehlt jegliche Info über die Israelischen Nachrichten – was ist hier eigentlich los? Kein Alarm, also kann’s nicht so schlimm sein!

Es dauert ein paar Minuten, dann gibt es eine Erklärung vom Sprecher der israelischen Armee, dass gerade ein großer Präventivangriff im Libanon gemacht werde. Es sei bekannt geworden, dass die Hisbollah geplant hat, mit vielen Raketen gleichzeitig – u.a. auch Langstreckenraketen, die bis nach Tel Aviv gelangen können – Israel anzugreifen. 100 Kampfflugzeuge seien gerade dabei, diese Raketen zu zerstören. Da wir ja nur ca. 8 km von der Grenze weg sind, ist es kein Wunder, dass wir davon buchstäblich etwas spüren.«

»Im Krieg gibt es keine Gewinner.«

Wie oft denke ich in den letzten Monaten an diesen Satz, mit dem mein Vater vor vielen Jahren meine kindliche Frage nach dem Gewinner des (damals Golf-)Kriegs beantwortet hatte.

Nirgends ist man sich der der Wahrheit dieser Aussage mehr bewusst als in Israel. Mögliche Entwicklungen der Lage werden offen in den Medien diskutiert, die jeweiligen Konsequenzen nüchtern erörtert. Es geht niemandem ums Gewinnen (als wäre das Ganze ein Gesellschaftsspiel, mit dem man sich die Zeit vertreibt). Es geht um den tiefen Wunsch nach Frieden, nach einem ruhigen Leben innerhalb des eigenen Staates.

(Zur Erinnerung: Israel ist etwa so groß wie der Bundesstaat Hessen und der einzige jüdische Staat weltweit.)
In Psalm 120,7 – geschrieben mehrere tausend Jahre vor der Staatsgründung – beschreibt David seine Erfahrung, die bis in die Gegenwart höchst aktuell ist: »Ich will nur Frieden. Aber wenn ich rede, so sind sie für Krieg.«

Die Sehnsucht nach Frieden ist nicht nur ein Lippenbekenntnis: Seit Staatsgründung investiert Israel enorme Summen in die Landesverteidigung und den Schutz der Zivilbevölkerung. So kostet beispielsweise eine Abwehrrakete des Iron-Dome-Systems knapp 50.000 Euro! Es gibt Parkhäuser, die in bunkerähnliche Krankenhäuser umgewandelt werden können, Anlaufstellen für Menschen mit seelischen Nöten, ausgelöst durch die Bedrohungssituation. Es gibt laufend aktualisierte Informationsportale, ein zuverlässig funktionierendes Raketenwarnsystem – und vieles mehr.

Auch die mittlerweile heftig diskutierte Evakuierung der 60.000 Bewohner entlang der Nordgrenze gehört zu diesen Schutzmaßnahmen. Die wichtigsten Kriegsziele sind

  • die Befreiung der immer noch 101 Entführten aus dem Gazastreifen
  • die Rückführung der Evakuierten in ihre Häuser (sowohl entlang des Gazastreifens, als auch an der Grenze zu Libanon).

Das erklärte und öffentlich formulierte Ziel der Iran gestützten Terrororganisationen, die die andere Seite des Konflikts darstellen, ist die Vernichtung des jüdischen Staates (dessen Existenz bis heute von diesen Gruppen nicht anerkannt wird). Dazu sind alle Mittel recht, vor allem auch wirksame Propaganda!

Um nur ein Beispiel zu nennen: Während Israel seine Zivilbevölkerung mit allen Mitteln schützt, benutzen Hamas und Hisbollah Frauen, Kinder und alte Einwohner als menschliche Schutzschilde. Wer im Südlibanon ein Zimmer seines Hauses der Hisbollah zur Lagerung abschussbereiter Raketen zur Verfügung stellt, bekommt dafür monatliche Miete.
Wer wird dann getroffen, wenn Israel Raketenabschussrampen angreift? Die zivilen Bewohner des Hauses – Frauen und Kinder. Fotos davon gehen im Bruchteil von Sekunden um die ganze Welt. Die Frage nach Gut und Böse, die wir als westliche geprägte Moralisten so schnell beantwortet haben möchten, ist damit geklärt …

Dass Israel über sämtliche zur Verfügung stehende Mittel (Videoclips in sozialen Medien, Flugblätter, SMS, Radiohacks etc.) die libanesische Zivilbevölkerung zum Verlassen von Häusern auffordert, in denen Waffen gelagert werden, bleibt im besten Fall eine kaum beachtete Randnotiz.

Wäre es uns lieber, es gäbe auch aus Israel Berichte von Tausenden von Toten? Fotos weinender Kinder? Manchmal scheint es so. Ist das nicht absurd?

Was würdest du machen, wenn der 7.10. an deine Haustür klopfen würde? – Keine Gewinner im Krieg.

Auch wenn es die westlichen Medien kaum senden, die Kinder Israels weinen. Ein großer Teil der Häuser, Straßen und Infrastruktur im evakuierten Bereich ist zerstört, landwirtschaftlich genutzte Flächen verbrannt. Die Menschen im ganzen Land versuchen ihren Alltag in größter Anspannung irgendwie zu meistern, viele befinden sich in finanziellen Notlagen, in Trauer, sind körperlich verstümmelt und seelisch zutiefst verletzt.

Es geht mir nicht um Rechtfertigung, um Gegenüberstellung, um Aufwiegen erlebten Leides, sondern vielmehr wünsche ich mir ein ehrliches Hinterfragen meiner – unserer – Einstellung als Israelfreunde.

Und darüber hinaus als Menschen mit biblischer Perspektive! Bete ich noch für den »Frieden Jerusalems« (Ps.122), bin ich noch »Wächter auf den Mauern Jerusalems« (Jes.62,6), sehe ich mich mit einem Auftrag des Trostes (Jes. 40,1) – oder lasse ich mich von emotionalen Clips und Propaganda terroristischer Organisationen blenden?

Unsere Aussichten vor Ort

Für kommende Woche haben wir unsere Mitarbeiterbibeltage geplant. Jakobus 4,13 ff ist aktuell mal wieder keine fromme Formel, sondern eine realistische Beschreibung unserer Pläne. Flüge werden storniert (Kann der Referent einreisen?), Alarm entlang unserer Straßen (Können wir das Gelände verlassen?).

Vielen Dank für eure anhaltende Gebetsunterstützung. Das ist die wichtigste Hilfe. Betet mit um eine bewahrte und gesegnete Mitarbeiter-Bibelwoche: »Zünde die Kerze des Lobes an, wenn die Dunkelheit kommt« (P. Tripp zu Ps.42, 9).

Darüber hinaus danken wir Gott im Gebet für:

  • Bewahrung aller Mitarbeiter, Heimbewohner, Hausgäste
  • Ruhe zwischen den Angriffen
  • neue Volontäre, die trotz der Bedrohung angereist sind

Beten wir gemeinsam um:

  • Bewahrung (körperlich und seelisch)
  • Nachbarn und Freunde, die in den letzten Tagen in unbezahlten Urlaub geschickt wurden und nicht wissen, wie sie ausstehende Rechnungen begleichen sollen
  • Weisheit für alle Verantwortlichen in Militär und Politik, die weitreichende Entscheidungen zu treffen haben
  • Befreiung der Entführten
  • Weisheit, Liebe und Geduld für uns Mitarbeiter im Umgang miteinander, den Heimbewohnern und Hausgästen
  • weitere Volontäre zur Unterstützung vor Ort
  • objektive Berichterstattung