Schon König David betete in seinen Liedern, dass der HERR seinem Volk Kraft geben möge und es mit Frieden segne (Psalm 29,11). Wenn wir heute, 3000 Jahre später, das Radio in Israel anschalten, begegnet uns derselbe Wunsch nach Frieden (frei übersetzt): »Gib nur den Regen zu seiner Zeit und lass uns im Frühling Blumen wachsen sehen.
Gib, dass er (die Entführten und Soldaten) wieder nach Hause kommt – mehr brauchen wir nicht.« (YouTube-Video von Shlomo Artzi)
In einem anderen Lied wünscht sich Artzi »Zeit für eine Pause vom Denken und Grübeln; einfach mal am Meer sitzen und sich keine Sorgen machen; den Kopf ausruhen lassen von allen Explosionen; das Herz zur Ruhe kommen lassen von allem Druck und Anspannung.« Eyal Golan singt vom »Ewigen, der über uns und unseren Kindern wacht, weil wir kein anderes Land haben. Er wird Frieden machen. Am Israel chai.«
Dieser große Wunsch nach Ruhe und Frieden, nach einem ganz normalen Leben, begegnet uns auch bei allen Gesprächen und Begegnungen mit Menschen, die in unsere Häuser kommen und denen wir unterwegs begegnen. Jeder weiß um den hohen Preis des Krieges und ist bereit, ihn zu tragen, wenn tatsächlich Frieden das Ergebnis ist. Nach einem Monat Terror und Krieg sind Sorge, Angst und Trauer die vorherrschenden Emotionen.
Neben der Sorge um Entführte und Soldaten, neben der Angst vor einer weiteren Eskalation der Lage, gibt es auch unmittelbare Existenznöte. V.a. kleine Betriebe, die nach der Coronakrise wieder langsam über Wasser waren, kämpfen ums Überleben (»Wer geht jetzt zum Friseur oder kauft sich ein neues Abendkleid?«).
Die Gebiete in Grenznähe werden hauptsächlich landwirtschaftlich genutzt. Jetzt sind die Gewächshäuser, Plantagen und Viehställe militärisches Sperrgebiet und können nur unter Lebensgefahr bewirtschaftet werden. Im Landesinnern fehlen die (meist) ausländischen Arbeitskräfte. Freiwillige aus dem ganzen Land versuchen, diese Lücke zu füllen. So meldeten sich auch acht unserer Mitarbeiter zu einem Einsatz in einem Gurkengewächshaus .
Bei Außentemperaturen von 30 Grad arbeiteten wir zusammen mit anderen israelischen Freiwilligen. Den Landwirten war die Dankbarkeit für unseren Einsatz ab zu spüren: »Ohne euch hätten wir das Wasser abstellen und die Pflanzen verdorren lassen müssen«. Eine israelische Freiwillige meinte während eines kurzen Gesprächs: »Danke, dass ihr hier seid. Das erwärmt mein Herz. Ihr zeigt mir, dass es auch noch Ausländer gibt, die Israel mögen. Wie gut, wenn man in diesen Zeiten glauben kann.«
Als wir uns nach getaner Arbeit noch etwas am nahe gelegenen Strand erholten und das klare Wasser genossen, waren 200 Meter entfernt von uns Soldaten damit beschäftigt, Sandsäcke zu füllen. Zitat einer 21-jährigen Mitarbeiterin: »Die sind so alt wie ich. Wenn ich abends die Namen und das Alter der Gefallenen lese, denke ich – die hatten doch auch noch große Träume für ihr Leben, die wollten doch auch noch was erreichen, heiraten und Familien gründen …«
Es wäre für uns leicht, die Augen vor der momentanen Realität zu verschließen und uns in unseren sicheren Schutzräumen zu verkriechen – aber das ist nicht unsere Aufgabe. Uns wurden hier Menschen anvertraut, denen wir Gutes tun möchten, denen wir Gottes Liebe weitergeben möchten. Liebe weitergeben – das geht nur, wenn wir im Gebet, mit offenen Augen und offenen Herzen erkennen, was unser Gegenüber braucht. Tag für Tag – in gleich bleibenden Aufgaben, die Ausdauer erfordern – oder in unvorhergesehen Tätigkeiten: Flexibilität.
Oft sind es gerade die kleinen Dinge, die den Unterschied machen. Mirjam G. schreibt dazu: »Gestern hatten wir die Möglichkeit, einen Ausflug nach Maalot zu unternehmen. Alicia, eine Mitvolontärin, gab ein Akkordeon-Konzert für die Heimbewohner. Wir anderen Volontäre durften dabei sein und beobachten, wie sehr sich die alten Menschen (und auch die jüngsten) an den bekannten israelischen Liedern erfreuten. Einige waren in Gedanken versunken, andere wischten sich verstohlen eine Träne aus dem Augenwinkel und eine ältere Dame rief voller Freude: ›Kol Hakavod. Jofi, Jofi‹. Das heißt so viel wie ›gut gemacht‹ und ›sehr schön‹. Sie klatschte voller Freude und mit einem Strahlen in den Augen in die Hände. Ich hatte das Gefühl, dass gerade jetzt, wo die Heimbewohner im Bunker schlafen und der Alltag anders ist, das Konzert für viele eine willkommene Abwechslung war und fand es total schön, dass wir so die Heimbewohner auch mal sehen konnten.«
Auch die Angehörigen unserer Heimbewohner bringen immer wieder ihren Dank für die von Herzen kommende Betreuung ihrer Eltern zum Ausdruck. So zum Beispiel die Tochter von Frau J., die nach dem Tod ihrer Mutter vor wenigen Tagen schrieb: »Ich habe keine Worte, euch zu danken für die Zeit, die Mama bei euch war. Für die beste Pflege, die sie gewonnen hat. Während der letzten Zeit, in der sich ihr Zustand verschlechterte, war ich erstaunt über das Bewahren der Menschlichkeit, den Respekt und den Umgang mit uns. Danke für die einfühlsame Begleitung in der letzten Woche. Es war ein Gewinn für Mama und ein Gewinn für uns. Aufgrund der Situation haben wir unseren Freunden gesagt, und sagen wir auch euch, dass sich niemand in Gefahr bringen muss, um zu kommen (Anmerkung: zur Trauerwoche im Haus der Familie. Sie wohnen in unmittelbarer Nähe zur Nordgrenze).«
Frau J. wurde wurde am 20. Juni 1929 geboren und wuchs in einem Dorf mit dem Namen Parysche in Ostgalizien in den karpatischen Bergen als jüngste von vier Kindern auf. Als ihr Vater 1933 in Folge einer Krankheit verstarb, musste sie schon früh Verantwortung für die Versorgung der Familie übernehmen. Diese Zeit bereitete sie gewissermaßen auf die Flucht während der Schoa vor. Die Familie wurde zuerst ins Ghetto in Nadwirna gebracht. Mit ihrem Bruder floh sie von dort, während ihre Mutter und wohl auch ihre beiden älteren Schwestern das Ghetto nicht überlebten. Sie versteckte sich bis Kriegsende bei einer polnischen Bauernfamilie in einem abgelegenen Dorf weiter nördlich. Nach Kriegsende zog sie zuerst zusammen mit der Bauernfamilie nach Schlesien, trennte sich dann aber von ihnen, weil sie eine Berufsausbildung beginnen wollte. Über einen Abgesandten einer zionistischen Organisation kam sie in das jüdische Kinderheim in Lodz, wo man sich um ihre Einwanderung nach Israel bemühte. Am 25. Dezember 1949 landete ihr Schiff in Haifa. Man teilte sie dem Kibbuz Amir in Obergaliläa zu. Später zog sie nach Tiv’on in die Nähe ihres Bruders, der ebenfalls überlebte und mit seiner frisch gegründeten Familie schon kurz vor ihr ins Land gekommen war. Sie war seit Ende November 2020 bei uns Im Beth Elieser. Eine Holocaustüberlebende, die ihre letzten Tage im Bunker erleben musste. Liebevoll gepflegt von jungen Christen aus Deutschland …
»Der HERR möge Kraft geben seinem Volk – den Holocaustüberlebenden, den Trauernden, den Verzweifelten, denen die (un)mittelbar ums Überleben kämpfen. Der HERR möge sein Volk segnen mit Frieden.«