»Jude zu sein ist ein Todesurteil.« – Mehrmals wiederholt eine Frau diesen Satz. »Vielleicht nicht heute, aber spätestens in zehn Jahren. Wo sollen wir denn hin? Weltweit nur Hass. Warum möchten die Araber nicht in Frieden mit uns leben? Wir sind zum Tode verurteilt.«
Wir treffen sie am Strand. Eine erst kürzlich dort aufgestellte Bank hatte sie und uns neugierig gemacht. Neben der Bank ein Gedenkstein mit Namen und Jahreszahlen. Noch ein junger Mensch, dessen Leben am 7.10.2023 beendet wurde. Noch eine Familie, bei der nichts mehr ist, wie es war.
Neben der Bank wurde eine schwarze Kiste aufgestellt – Geben und Nehmen. So wie der junge Mann gerne gegeben hat, kann jeder der vorbeikommt, geben und nehmen. Wir öffnen die Kiste und sehen Bücher, Kaffeebecher und Teebeutel darin. QR-Codes verlinken zu Videoaufnahmen, die Angehörige zu Wort kommen lassen und so die Erinnerung an den geliebten Menschen teilen.
In einem Umkreis von nur zwei Kilometern von unserm Haus ist dies bereits die zweite Gedenkstätte. Direkt an »unserem« Weg zum Strand steht eine Schaukel, die an unseren ebenfalls am 7.10. umgekommenen Nachbarn erinnert.
In Israel soll die Erinnerung an einen Menschen nicht am Grabstein und der Warum-Frage stehen bleiben. Viel mehr geht es um das Wozu eines plötzlichen Todes. Was war dem Verstorbenen wichtig? Für welche Werte hat er gelebt? Wie kann dies in seinem Sinn weitergelebt werden? Wie kann ich durch diesen Menschen motiviert werden?
Um diesen Blick nach vorn geht es bei diesen privaten Gedenkstätten. Nicht zufällig befinden sie sich deshalb oft an Plätzen mit schöner Aussicht – in unserem Fall aufs weite Meer. Und selbst auf der schönsten Aussicht lastet eine unsichtbare Schwere. Wie viele hundert solcher Plätze gibt es in diesem kleinen Land? Wie viele werden noch dazu kommen? Warum? Wozu?
Ist Jude-Sein wirklich ein Todesurteil? – Als Bibelleser wissen wir, dass wir die Warum-Fragen selten beantwortet bekommen, wir wissen aber, dass bei allem, was für uns völlig unverständlich geschieht, Gott uns den Blick für das Wozu öffnen möchte. Mit diesem Blick erkennen wir auch, dass Jude-sein KEIN Todesurteil ist, sondern unser Herr sich durch dieses Volk offenbart hat und verherrlichen möchte. Seine Treue zu seinen Verheißungen verheißt LEBEN. Am Israel Chai – Das Volk Israel lebt. Es geht weiter, auch wenn der Weg steinig ist.
Wir beten um Weisheit, dass wir diese Hoffnung in der rechten Art und Weise an die Menschen, mit denen wir zu tun haben, weitergeben können.
Judith Rentschler