Tag 48 – zehn Tage sind vergangen seit meinem letzten Bericht. Es kommt mir vor wie eine kleine Ewigkeit. »Wie geht es euch?« werden wir oft gefragt. Wie es uns geht?
Wir sind müde. Und dankbar.
Müde von allen Schreckensbildern und -berichten – Dankbar, dass wir (und die uns Nahestehenden) bislang unversehrt sind.
Müde von den jungen Gesichtern der Gefallenen – Dankbar, wenn wir keinen der veröffentlichten Namen kennen.
Müde von ständiger Alarmbereitschaft – Dankbar für jeden Tag (und jede Nacht) ohne Alarm in Maalot und Shavei Zion
Müde von ständig wechselnden Aufgaben – Dankbar, dass wir vor Ort helfen und unterstützen können
Müde vom Arbeitsalltag ohne Tageslicht und unter engen Bedingungen – Dankbar für (schön eingerichtete) Bunker und Schutzräume
Müde vom engen Miteinander – Dankbar für die Gemeinschaft.
Die Aufzählung ließe sich fortsetzen.
Nicht nur vor Ort in unseren Häusern merken wir, wie wichtig in diesen Tagen die Gemeinschaft ist. Zu wissen, ich gehe da nicht allein durch. Tragen und getragen werden – das stärkt. »In diesen Tagen«, so beginnt fast jede Werbung in Radio und Fernsehen. Eigentlich handelt es sich dabei eher um die Verbreitung von Hilfsangeboten: Du leidest unter Panikattacken? Damit bist du nicht allein. – Pass auf, Alkohol und Tabletten lösen deine Ruhelosigkeit nicht. Gemeinsam werden wir siegen. – Dein Betrieb musste schließen? Hier bekommst du finanzielle Hilfe. Gemeinsam werden wir siegen. – Du bist verwundet? Hier bekommst du Unterstützung. Gemeinsam werden wir siegen.
Allgegenwärtig ist dieser Slogan. Auf Aufklebern und Bannern, in der Tiefgarage des Einkaufszentrums (dort befindet sich ein improvisierter Militärstützpunkt), im Zug, im Supermarkt – überall: Gemeinsam werden wir siegen. Ja, das ermutigt und stärkt. Aber wenn alle müde werden?
Die Werbung der israelischen Gewerkschaft schlägt auf einmal andere Töne an. In der Werbeunterbrechung der Abendnachrichten höre ich: »Osse Shalom….«, »Der Frieden schafft in seinen Höhen, der schaffe Frieden über uns und über ganz Israel« – ist das die Sehnsucht nach Jemandem, der über unserer Hilflosigkeit steht, der nicht müde wird? Der allein echten Frieden schaffen kann?
ההסתדרות – עושה שלום (histadrutogether.co.il)
Autoaufkleber rufen dazu auf »auf den Herrn zu vertrauen. ER ist Hilfe und Schutz. Nur mit ihm werden wir siegen.« Leuchtreklameschilder am Stadteingang zeigen das »Shma Israel« – Höre Israel, das jüdische Glaubensbekenntnis aus 5.Mose 6,4 im Wechsel mit Versen aus Psalm 23 (»Und wenn ich wandere im Tal des Todesschattens…«).
Beim Einkaufen treffe ich eine Nachbarin, die mich fragt: »Ist das alles eine Strafe Gottes? Hat er kein Gefallen an unserem Verhalten?« – Es ist nicht meine Aufgabe, das momentane Geschehen zu rechtfertigen oder »aus Gottes Sicht« zu erklären. Das kann ich auch gar nicht. Und doch wecken mich diese Beobachtungen und Gespräche aus meiner Müdigkeit: Ich habe die Aufgabe des Gebets und der Fürbitte, dass diese Slogans den Blick zu dem Einen schenken, der allein alle Macht hat – im Himmel und auf Erden.
Vielleicht lasst auch ihr euch wieder neu aufwecken zur Fürbitte, in dem Bewusstsein: gemeinsam, mit Gottes Hilfe.
Israel braucht unser Gebet:
- Weisheit für die Entscheidungsträger in Militär und Politik (ganz besonders auch in den Verhandlungen zur Freilassung der Entführten)
- Trost für die Trauernden
- Genesung für die körperlich Verletzten (der Krieg zeigt hier sein teuflisches Gesicht in der grausamsten Weise)
- Heilung für die Traumatisierten
- Hoffnung für die Verzweifelten (besonders auch die Entführten und ihre Angehörigen; sowie die Evakuierten)
- Hinwendung zu Gott und Vertrauen in Seine Stärke. ER ist Hilfe und Schutz. ER trägt durch, ermutigt und gibt täglich neue Kraft.
Von Judith Rentschler aus Shavei Zion