Vortrag von Schuldekan Thorsten Trautwein anlässlich des Jahrestags der »Reichspogromnacht«
Der 9. November ist ein kontroverser Tag in der deutschen Geschichte: Nach der Ausrufung der Republik im Jahr 1918 und dem Mauerfall 1989 hätte er zum Feiertag werden können, doch der Putschversuch der NSDAP 1923 und die sogenannte »Reichspogromnacht 1938 – auch als »Kristallnacht« bekannt – kennzeichnen die Schattenseiten dieses Novembertags, für den auch der Ausdruck »Schicksalstags der Deutschen« geprägt wurde.
Seit Jahren gedenken wir von »Zedakah« am 9. November an jenen Tag vor 84 Jahren, an dem der Judenhass eine entscheidende Schwelle überschritt: Synagogen brannten im ganzen Land, Juden wurden geschlagen, vertrieben, erschossen. Schließlich gipfelte er in der Ermordung von europaweit 6 Millionen jüdischen Mitbürgern.
Schuldekan Thorsten Trautwein aus Calw ist seit einigen Jahren unser Partner bei der Entwicklung der digitalen Unterrichtsplattform »Papierblatt« und auch Mitherausgeber einiger Bücher. Zuletzt erschien der Kunstband »Erinnerungen aus dunkler Vergangenheit« mit Zeichnungen der 1998 verstorbenen Auschwitz-Überlebenden Ella Liebermann-Shiber.
Dem Schicksal dieser Künstlerin ist Thorsten Trautwein nachgegangen, hat sich eingehend mit ihrem Werk und ihrer Biografie beschäftigt, ihre Nachkommen interviewt – und war erst vor wenigen Wochen in Berlin unterwegs, um Spuren ihrer Kindheit und Schulzeit zu nachzuverfolgen.
Einen tiefen Einblick in das Leben von Ella Liebermann-Shiber sowie das unmittelbare Zeitzeugnis durch ihre verstörende Sammlung aus 93 Zeichnungen über ihre Zeit im Ghetto und im KZ Auschwitz präsentierte Thorsten Trautwein den Besuchern im Maisenbacher IP-Zentrum und weiteren Zuschauern im Livestream. (Auf unserem YouTube-Kanal »iP Israel Perspektive« kann die Veranstaltung auch im Nachhinein angesehen werden).
Nach seinem Vortrag stellte der Schuldekan das Konzept einer geplanten Wanderausstellung vor: Ein Videotrailer, drei Staffeleien und einige Erläuterungen gaben einen Ausblick auf die Ausstellung, die das Leben, das Werk und die Familie von Ella Liebermann-Shiber in würdiger Weise in Szene setzen sollen. Hochwertig, medial unterstützt und interaktiv soll ein Raum-in-Raum-Konzept Besucher und insbesondere Schülergruppen mit dem Zeitzeugen-Schicksal berühren und zum Nachdenken für Gegenwart und Zukunft anregen.
Für dieses ambitionierte Projekt suchen wir noch Spender und Förderer. Für weitere Auskünfte stehen wir gerne bereit.
Zum Gedenken an die jüdischen Opfer der Reichspogromnacht und des Holocaust zündeten Frank Clesle und Schmuel Bayer zwei Kerzen an und lasen auf deutsch und hebräisch Psalm 74 vor, dessen Worte sich am 9. November 1938 – etwa 3000 Jahre nach seiner Abfassung – nahezu wortwörtlich zugetragen haben: »Sie verbrennen dein Heiligtum, bis auf den Grund entweihen sie die Wohnung deines Namens. Sie sprechen in ihrem Herzen: Lasst uns sie allesamt unterdrücken! Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande.«