Der israelische Holocaust-Gedenktag – Jom HaShoa – ist für uns als Zedakah-Mitarbeiter der schwerste Tag des Jahres: der Tag, an dem wir auf der Seite der »Anderen« stehen. Selbst die unter uns, die des Hebräischen nicht mächtig sind, verstehen bei diversen Veranstaltungen, Vorträgen und Zeitzeugenberichten Wortfetzen wie »Germanim, Nazi, Hitler, Bergen-Belsen, Auschwitz«.
Die zweiminütige Gedenkzeit, die vom Klang einer Sirene begleitet wird, lässt das ganze Land innehalten und hinterlässt ein unangenehmes Gefühl. Persönlich tragen wir keine Schuld an den Verbrechen und doch sind wir Teil des Volkes, das diese Schuld trägt. Wir sind entsetzt von den Ereignissen des 7. Oktobers, doch was ist über Jahre (!) hinweg in unseren Städten und Dörfern, unter deutscher Anleitung, Organisation und Durchführung passiert?
»Warum machen wir das nicht in Deutschland?« fragt eine Volontärin nach dem Ausklingen der Gedenkzeit? Warum nicht? – Ich habe keine Antwort auf diese Frage.
»Fragen ohne Antwort« – das könnte der inoffizielle Titel des diesjährigen Jom HaShoa sein:
- Dürfen wir beim 7.10. von Shoa sprechen?
- Ist der Protest auf dem Unicampus eine neue Reichspogromnacht?
- Ist das jüdisches Volk wieder allein oder hat es wirkliche Freunde?
- Warum vergisst die Welt jüdisches Leid so schnell?
- Warum dürfen Juden sich nicht verteidigen? Der Holocaust war nur möglich, weil Juden die Möglichkeit der Selbstverteidigung nicht hatten.
- und viele weitere Fragen …
Mögliche Antworten werden überall diskutiert, sei es im Fernsehen, sozialen Medien, oder auch im persönlichen Gespräch unter Nachbarn, oder innerhalb der Gruppen, die zu uns ins Haus kommen.
Im Beth Elieser hatten wir anlässlich der Gedenkzeremonie Angehörige unserer Heimbewohner eingeladen. Im Anschluss daran nahmen sie an einer Austauschrunde teil, in der thematisiert wurde, was die Ereignisse des 7.10. und die seither vergangenen Monate persönlich bei den Einzelnen ausgelöst haben. Es tat den Angehörigen gut, sich mitzuteilen und zu wissen, dass sie bei uns einen Ort haben, an dem man ihnen zuhört.
Sehr bewegend war es, mitzuerleben, dass trotz der unterschiedlichsten Ansichten und Meinungen, trotz des Schmerzes über die eigene Familiengeschichte und dem Erleben des grassierenden Antisemitismus Gedanken der Hoffnung und der tiefe Wunsch nach friedvollem Zusammenleben mit den Nachbarn am Ende der gemeinsame Nenner wurden.
»Wir haben kein anderes Land.« – Das soll kein Ausdruck der Resignation sein, sondern Motivation zum Weiterglauben, Weiterhoffen, Weiterleben. »Möge das die Inspiration sein, die wir von der Holocaust-Generation für unsere gegenwärtige Lage lernen können.«
Und doch ist der Jom HaShoa auch der wichtigste Tag des Jahres für uns Zedakah-Mitarbeiter. Der Tag, an dem wir uns nochmal bewusst machen, was unsere Aufgabe hier im Land ist und dass es absolut nicht selbstverständlich ist, dass uns als Deutschen und Christen mit so viel Liebe und Anerkennung begegnet wird. So möchten wir unseren Auftrag, Israel zu trösten, weiterleben – in Demut und bedingungsloser Liebe im Wissen um unsere Herkunft und im Gebet für die baldige Erfüllung der göttlichen Verheißung:
»Und der Engel, der mit mir redete, sprach zu mir: Rufe aus: So spricht der HERR der Heerscharen: Ich eifere mit großem Eifer für Jerusalem und für Zion, und mit großem Zorn zürne ich über die sicheren Nationen. Sie, nämlich als ich ⟨nur⟩ wenig zürnte, ⟨da⟩ haben sie dem Unheil nachgeholfen. Darum, so spricht der HERR: Ich habe mich Jerusalem in Erbarmen wieder zugewandt. Mein Haus soll darin gebaut werden, spricht der HERR der Heerscharen, und die Messschnur soll über Jerusalem ausgespannt werden. Rufe weiter aus: So spricht der HERR der Heerscharen: Meine Städte sollen noch überfließen von Gutem; und der HERR wird Zion noch trösten und Jerusalem noch erwählen. (Sach. 1,14ff)
Vielen Dank, wenn ihr uns darin weiter unterstützt und begleitet.
Judith Rentschler