Ausnahmesituation im Alltag in der Ausnahmesituation

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Nein, der Krieg ist noch nicht vorbei! Doch der Mensch gewöhnt sich an sehr vieles – zum Guten und zum Schlechten.
So wurde die Ausnahmesituation, in die wir uns am 7.10.2023 plötzlich versetzt sahen, zum Alltag. Die Arbeit im Bunker, das Leben in Schutzraumnähe, die Menschen, die in unseren Häusern ihren Alltag gestalten, die Überlegung, wo der freie Tag höchstwahrscheinlich alarmfrei verbracht werden kann – das läuft mittlerweile unbewusst, fast natürlich, ab.
Dass Israel täglich auch an der Nordgrenze aus dem Libanon beschossen wird, dass es Verletzte gibt und Sachschaden entsteht, dass über 60 000 Israelis noch immer nicht in ihre Häuser zurückkehren dürfen, auch das gehört – so schrecklich es sich anhört – mittlerweile zur neuen Alltags-Realität und ist in der ausländischen Berichterstattung kein Thema.


Gott sei Dank ist es bei uns bisher mehr oder weniger ruhig. Doch in den letzten Tagen erlebten wir in diesem neuen »Alltag« eine Ausnahmesituation: Alles kann sich im Bruchteil von Sekunden ändern.

Freitag, etwa 18 Uhr: In Shavei Zion planten wir, gemeinsam zu grillen. Beim Vorbereiten des Lagerfeuers – wuschschschsch: eine Iron-Dome-Abfangrakete saust direkt über unser Gelände. Wir ducken uns unwillkürlich und entscheiden uns – »eine Rakete ist keine Rakete« – wir grillen.

Zehn Minuten später – wuschschschsch – die zweite. OK, das Grillen fällt nun aus. Wir beschränken uns auf Salate und essen in Schutzraumnähe.

Parallel dazu sitzen unsere Mitarbeiter und Heimbewohner in Maalot beim festlichen Shabatessen. Raketenalarm wird ausgelöst. Wie dankbar sind wir, dass sich alle im geschützten Bereich befinden, keine Panik entsteht und das Abendessen weitergehen kann. (An der Straße zwischen Maalot und Naharia schlägt eine Rakete ein, ein Autofahrer wird verletzt … )

Dankbar sind wir auch, dass am darauffolgenden Tag alles ruhig blieb. So konnten Hans und Christl Bayer ihre Diamantene Hochzeit im Rahmen ihrer Familie und den Mitarbeitern feiern.
Dann wieder Alarm in Shavei Zion, am Sonntag um 14:55; 14:56; 15:02 Uhr. Schnell sind alle Mitarbeiter in den Schutzräumen.

Entwarnung – Feierabend –19:19 Uhr wieder Alarm – die einen sind beim Spaziergang am Strand, die anderen unter der Dusche. Entwarnung – wuschschschsch – einmal und noch einmal, dann wieder Alarm. Mittlerweile ist es 20 Uhr. Die ersten Nachbarn rufen an. »Dürfen wir heute in ›unseren‹ (extra dafür reservierten) Zimmern bei euch schlafen?« – Es kommen vier Mütter mit insgesamt acht Kindern, denen man den Schrecken der Alarme ansieht. Die Älteste von ihnen (dreizehnjährig) war als Babysitterin tätig. Da das Haus keinen Schutzraum hat, verbrachte sie den Alarm zusammen mit zwei Kleinkindern im Schrank.

Ob die Kinder gleich im Schutzraum schlafen dürfen? Schnell bereiten wir Matratzen vor und langsam kehrt Ruhe ein. Was bringt die Nacht? Was der nächste Tag? Nein, dieser Zustand darf kein Alltag werden.

In den Nachrichten wurde bekannt gegeben, dass die Angriffe der Hisbollah an der Nordgrenze beständig zunehmen. Allgemein rechnen das Militär und große Teile der Bevölkerung mit einem unvermeidlichen Krieg mit der Hisbollah. Dass dieser Krieg dann aber für die Zivilbevölkerung Israels wesentlich heftiger sein wird als der Gaza-Krieg ist allen klar, denn die Hisbollah ist um ein Mehrfaches mächtiger und größer als die Hamas.

Vielen Dank, wenn Sie weiter beten – für Bewahrung und Frieden und dass wir als Mitarbeiter vor Ort Seinen Frieden und Seine Hoffnung weitergeben können.

Judith Rentschler