7.10.2024 – ein Jahr Krieg

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»Al ha dwasch we al ha oketz schmor na li eli ha tow« – »Guter Gott, bitte wache über dem Honig und dem Stachel« (i.S.v. dem Guten und dem Schlechten) so beginnt der Refrain des Liedes »Al kol ele«, das Nomi Shemer 1980 komponierte und das seither zu Israel gehört.

Inhaltlich geht es um ein Gebet, dass Gott über den ganz alltäglichen Dingen, über dem Wenigen, das ich habe, wachen möge: Über den Menschen und Dingen meines Lebens, deren Bedeutung ich erst erfasse, wenn ich sie nicht mehr habe.

7. Oktober 2023, 6:29 – der Albtraum beginnt mit dem Überfall der Hamas auf die Ortschaften im Grenzgebiet zum Gazastreifen, auf die Teilnehmer des Nova-Musik-Festivals, auf die Stadt Sderot.

Seit gestern Abend laufen Sondersendungen im israelischen Fernsehen und Radio, die mittels bisher teils unveröffentlichten Materials von Überwachungskameras und Telefonaten versuchen, das bis heute nicht nachvollziehbare Grauen irgendwie darzustellen.

Heute kennen wir das schreckliche Ausmaß dieses Angriffs. Zur Erinnerung: an diesem 7. Oktober 2023 wurden etwa 1200 Männer und Frauen, Alte und Jugendliche, Kinder und Babys auf brutalste Weise ermordet, vergewaltigt, verbrannt. Mehr als 10.000 erlitten Verletzungen. 251 Geiseln wurden in den Gazastreifen entführt.

7. Oktober 2024, 6:29 – die Angehörigen der immer noch (!) 101 Entführten treffen sich zu einer Gedenkminute am Platz der Entführten in Tel Aviv. Um 6:31 ertönt Raketenalarm in drei Ortschaften am Gazastreifen – das ist Terror.

Mit dem Beginn der Offensive im Libanon rückt für viele die Hoffnung auf einen Geiseldeal in weite Ferne. Schmerz und Sehnsucht, Unsicherheit und Ungewissheit sind unfassbar groß. Der herzzerreißende Schrei der Mutter von Hersh Goldberg Polin brachte zum Ausdruck, wie es in vielen Israelis aussieht. Inzwischen wurde Hersh von Soldaten aufgefunden: Er war Ende August von seinen Entführern ermordet worden.

Wer nicht schreit, der schweigt, resigniert, verdrängt.

Ein Jahr Krieg – 24 Stunden an 366 Tagen. Und kein Ende in Sicht. Es scheint eher noch schlimmer zu werden. Militärisch kann Israel Erfolge verbuchen, aber die Terror-Ideologie lässt sich nicht auslöschen. Und so werden weiter Raketen geschossen, Sprengstoffdrohnen abgeschickt, Terroranschläge geplant und ausgeführt (allein in der letzten Woche starben acht Israelis bei Schießanschlägen an einer Straßenbahnhaltestelle in Tel Aviv und im Busbahnhof in Beersheva, über 20 wurden dabei verletzt).

Auch in unserer Gegend mehren sich die Raketenalarme. Gott sei Dank wird das meiste durch das Iron-Dome-System abgewehrt, doch eine 100%-Sicherheitsgarantie ist das nicht. Erst gestern erlitt ein Einfamilienhaus in Maalot einen Volltreffer.

Seit über zwei Wochen finden in Nordisrael Kindergarten und Schule nur online statt, Veranstaltungen mit über 25 Teilnehmern dürfen nur in Räumen mit Betondecke und Schutzraumnähe durchgeführt werden oder fallen ganz aus. Für uns bedeutet das, dass externe Angestellte ihre Kinder mit zur Arbeit bringen und einige der regulären Gruppen ihre Angebote nicht durchführen dürfen. Vor dem Verlassen des Hauses wird überlegt, ob das wirklich nötig ist. Nervosität und Gereiztheit steigen, ebenso auch die Verzweiflung.

Externe Mitarbeiter bringen ihre Kinder mit. An den Kindern sieht man das Trauma Israels deutlich: Aus Matratzen werden auch im Spiel Schutzräume gebaut.

Die neue Situation hat dazu geführt, dass die Shavei Zioner Arztpraxis aufgrund mangelnder Schutzmöglichkeiten geschlossen werden musste und 400 Dorfbewohner zum Arztbesuch in eine Praxis ca. 15 km entfernt (und näher an der libanesischen Grenze) fahren mussten. Als uns die Anfrage erreichte, ob wir nicht vielleicht noch irgendwo einen Raum hätten – ALARM in Maalot und noch einmal ALARM (während ich diese Zeilen schreibe) – öffneten wir dieses Mal unseren Hauswirtschaftsraum, der seit gestern als Arztpraxis dient. Wieder einmal kommen Menschen zu uns ins Haus, die bis jetzt maximal unseren Garten kannten … Ganz natürlich ergeben sich Gespräche. Unser Hiersein und Hierbleiben (!) ist oft die größte Ermutigung in der schweren Situation.

Die eigentliche Arztpraxis, nebendran der Schutzraum des Kindergartens.

Seit dem letzten Alarm in Maalot sind 7 Minuten vergangen. Wie geht es den Lieben dort? Nach 10 Minuten dürfen sie den sicheren Bereich wieder verlassen (wenn es keine anderen Anweisungen gibt). Dann gibt es auch die ersten Nachrichten …

Gott sei Dank läuft der Alltag der Heimbewohner und der meisten Mitarbeiter ohnehin im Bunkerbereich.
10 Minuten sind vorbei, es gab einen Einschlag in Maalot, nicht besonders weit entfernt von uns. »Nur« Sachschaden oder auch Verletzte? Tote?

Was passiert noch, bis dieser Artikel online ist? Zum Beispiel dies: Die 11-jährige Ruthi war während des Alarms in Maalot ganz empört in der vollen Überzeugung, dass doch jeder Mensch dem Gedenken des 7. Oktobers Respekt zollen muss: »Die haben aber auch überhaupt keinen Anstand! Auch noch am 7. Oktober schießen die auf uns!« – Bei all der Schlechtigkeit, die sie jetzt schon persönlich von den Feinden Israels kennengelernt hat, kann sich eine Kinderseele doch nicht vorstellen, wie abgrundtief böse Menschen sein können. Das hat Ruthis Mutter sehr bewegt.

Bitte wache, guter Gott.

Mehrmals hat es in den letzten 24 Stunden in Maalot Alarm gegeben. Die Mitarbeiter suchen schnell den nächstbesten sicheren Bereich auf.

Wenn wir an der Seite Israels im letzten Jahr viele »Stachel« erlebten, so dürfen wir aber auch auf viel »Honig« zurückblicken: konkrete Bewahrung in unterschiedlichsten Situationen, entspannte Momente bei Ausflügen im Land, motivierte Mitarbeiter, unzählige Möglichkeiten, den Menschen in unserer Umgebung Gutes zu tun, neue Kontakte, ermutigende Begegnungen, Gebetserhörungen u.V.m.

Und so machen wir weiter – an der Seite Israels, unterstützt durch eure Gebete und Gaben.

Aktuelle Anliegen:
Dank für

  • jeden noch so kleinen »Honig-Moment« des letzten Jahres
  • die segensreiche Bibelwoche für Mitarbeiter, die wir gegen jede Wahrscheinlichkeit wie geplant durchführen konnten
  • immer wieder neue offene Türen

Bitte für:

  • die Freilassung der 101 Geiseln
  • Heilung der körperlich und seelisch Verletzten
  • Trost und Zuversicht
  • Gottesbegegnungen
  • Bewahrung an den Grenzen und im Land
  • Weisheit für alle Entscheidungsträger in Politik und Militär
  • echten Frieden

Anfang des Monats begann im jüdischen Kalender ein neues Jahr. Von Herzen wünschen wir dem ganzen Volk Israel weltweit Shana tova – ein gutes Jahr (und wie hier oft hinzugefügt wird: voll Ruhe und Langeweile)

Hier folgen nun noch einige Bildcollagen mit Eindrücken aus dem zurückliegenden Jahr: