Beim Gang über den leeren Stationsflur bleibt der Blick am Kalender hängen: 10. Oktober 2023 steht da auf Hebräisch, Russisch und Deutsch – der Tag des Umzugs in den Bunker. Die Zeit hier oben scheint stehen geblieben zu sein. Das Leben spielt sich in den darunterliegenden Etagen ab – schon seit genau 100 (!) Tagen.
100 Tage, das sind mehr als 3 Monate, es sind 2400 Stunden, 144.000 Minuten oder 8.640.000 Sekunden, die wir Mitarbeiter und Heimbewohner gemeinsam auf engstem Raum verbringen. Was das für uns ganz konkret bedeutet? In spontanen »Interviews« lassen uns einige unserer Volontäre teilhaben an 100 Tagen »Alltag« im Bunker.
Stimmen unserer Mitarbeiter:
»Mich beeindruckt es immer wieder, wie schnell wir uns daran gewöhnt haben, im Bunker zu arbeiten. Ich hatte Nachtdienst in der ersten Nacht im Bunker und ich weiß noch, wie chaotisch alles war, wie seltsam, dass die Bewohner in einem großen Raum schlafen und ich meine Rundgänge mit einer Stirnlampe mache. Mittlerweile haben wir sehr viel optimiert, eine gewisse Ordnung geschaffen und eine Routine entwickelt – auch in Bezug auf die zwei Waschbecken und zwei Toiletten, die für die Heimbewohner zur Verfügung stehen. Was ich genieße, ist, dass wir viel mehr Kontakt zu den Heimbewohnern und Mitarbeitern der anderen Station und auch den anderen Arbeitsbereichen haben, wie z. B. der Großküche. Auch wenn wir uns manchmal wortwörtlich auf die Füße treten: an Freude und Fröhlichkeit fehlt es nicht.«
»Man gewöhnt sich irgendwie an das Leben im Bunker. Das Miteinander-Arbeiten aller Bereiche, sodass man auch den Alltag der anderen mitbekommt, ist schön, manchmal auch herausfordernd. Ich habe auf jeden Fall gelernt, Gott mehr zu vertrauen.«
»Es ist keine ständige Last. Es gibt auch viele Dinge, die gut sind. Schön ist das Miteinander mit den anderen Bereichen – und gemeinsam mit den Heimbewohnern im Bunker fühlt es sich an wie eine große Wohngemeinschaft. Momentan bin ich aber auch noch dankbar, meinen Rückzugsort im Zimmer zu haben und dass wir als Mitarbeiter noch nicht dauerhaft unten sein müssen. Ich lerne in dieser besonderen Situation, in der wir sehr eng aufeinandersitzen, noch einmal mehr, mit anderen klarzukommen, mich auf andere einzustellen und mich selbst nicht so wichtig zu nehmen. Außerdem habe ich gelernt, mehr die Kontrolle an Gott abzugeben, weil wir jetzt schon so lange in einer Situation leben, in der wir überhaupt nichts unter Kontrolle haben können.
Nach Hause gehen? – Darüber habe ich nie ernsthaft nachgedacht, obwohl ich auch hin und wieder Angst habe. Es hilft, dass wir hier alle gemeinsam in diesem Boot sitzen und miteinander durchmüssen. Ich habe mir dann auch die Frage gestellt, wie ich trösten kann, wenn ich eigentlich selber Trost brauche. Aber gerade jetzt hat Israel doch Trost nötig …
Wie ist es überhaupt möglich, dass ich in dieser Situation zur Ehre Gottes lebe? Ich habe dann verstanden, dass allein unser Hiersein im Moment ein Trost und ein Zeugnis für Israel ist und dass es allein Gottes Sache ist, wie er mein Leben zu seiner Ehre gebraucht. Wenn ich mich nur zur Verfügung stelle, macht er den Rest.«
»100 Tage? Es fühlt sich noch gar nicht so lange an. Irgendwie habe ich mich daran gewöhnt und das Miteinander ist echt angenehm. Was ich schwierig finde ist, dass wir immer noch in der Erwartung einer größeren Eskalation im Norden sind. Die Anspannung, wann es richtig losgeht, schwingt immer mit bei dem Versuch, ein möglichst normales Leben zu leben.«
»Es ist erstaunlich, wie schnell man sich an so eine Situation gewöhnen kann und nicht bei jedem Raketenalarm gleich panisch wird. Psalm 27,3 ist mir dabei besonders wichtig geworden und gibt mir immer wieder die richtige Ausrichtung: ›Wenn sich auch ein Heer wider mich lagert, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht; wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf ihn.‹«
»Ich erinnere mich an einen Schlüsselmoment in dieser Zeit: Es war abends unten im Bunker, irgendwie stressig und durcheinander, viele Menschen, die sich irgendwie gegenseitig im Weg standen. Eine Mitarbeiterin fragte plötzlich völlig frustriert: ›Wie lange halten wir das hier noch aus?‹ – Da kam mir der Gedanke: ›So lange, wie Gott jeden befähigt und Kraft gibt.‹ – Dass Gott uns ausrüsten muss für jeden Tag, wurde mein Leitgedanke. Mittlerweile dürfen wir sehen, wie er uns bereits 100 Tage ausgerüstet hat, wie wir Freude und den richtigen Umgang mit den Heimbewohnern finden, wie wir Hand in Hand arbeiten und gelernt haben, aufeinander zu achten.«
»Wenn ich unsere Situation im Bunker vergleiche mit vielen Dingen, die hier im Land geschehen, muss ich sagen, dass es uns sehr gut geht. Ich denke an die vielen Familien, deren Söhne nicht mehr aus dem Krieg nach Hause kommen. Ich denke an die Entführten, die jetzt schon so lange in den Händen der Hamas sind, und noch nie war mir der Vers aus Jeremia 31,17 so lebendig: ›…und es gibt eine Hoffnung für deine Zukunft, spricht der HERR: Deine Kinder sollen wieder in ihre Heimat kommen.‹ – Darauf hoffen wir.«
»Ich hoffe zwar, dass das alles bald vorbei ist, aber trotzdem sehe ich auch die schönen Dinge, die sich durch unser Leben im Bunker entwickelt haben. Das Zusammensein mit den verschiedenen Bereichen auf engem Raum, vermittelt jetzt noch mehr das Gefühl von Familie und das ist schön! Außerdem habe ich gelernt, dass aus Gottes Perspektive äußere Bewahrung nicht so wichtig ist wie innere Bewahrung. Das war kein leichter Prozess, aber jetzt freue ich mich, dass ich das auch so sehen darf.«
»Ich mag es sehr, wenn die Heimbewohner bei uns am Kücheneingang stehen und uns beim Arbeiten zusehen, und ich mag es sehr, mit ihnen zusammen auf einer Ebene zu sein. Es ist irgendwie so, als ob wir uns gegenseitig Schutz bieten und ganz eng beieinander sind. Es hat schon auch was Schönes für mich.«
»Ich weiß, dass ich genau jetzt am richtigen Platz bin, und sehe es als Geschenk, etwas für Gottes Volk tun zu können!«
»Die Gewissheit, zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein, hilft uns, diese herausfordernde Ausnahmesituation Tag für Tag anzunehmen und zu erleben, dass unser Herr uns mit Ruhe, Freude, Liebe und Kraft für unseren Dienst beschenkt. Obwohl wir uns der realen Bedrohung durch die sich ständig verändernde Kriegslage bewusst sind, wissen wir uns in Seiner Hand geborgen. Wir wissen nicht, wie lange wir noch im Bunker leben und arbeiten werden und ob es noch enger werden wird, aber wir wissen, dass wir nicht alleine sind.
Von Herzen danken wir auch euch für 100 Tage Gebetsunterstützung, für jeden Anruf, jede Karte, jedes Paket. Das bedeutet uns sehr viel. Vielen Dank, wenn ihr auch weiter für uns betet.«
Aktuelle Gebetsanliegen:
- Gutes Miteinander unter uns Mitarbeitern
- Geduld und Liebe für die Pflege der uns anvertrauten Heimbewohner
- Innere und äußere Rückzugsorte zum Auftanken und Ausruhen
- Lösung für die Bedrohung an der Nordgrenze
- Bewahrung vor Raketeneinschlägen und dem Eindringen von Terroristen